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Emanuell Baranowski – Von der DDR auf die Straße

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Die Zeit in der DDR

Die Nachkriegszeit geht dem Ende zu und Deutschland steckt mitten im wirtschaftlichen Aufschwung. Das Land ist bereits in die Bereiche DDR und Westdeutschland aufgeteilt. Es ist das Jahr 1958, in dem Emanuell Baranowski das Licht der Welt erblickt und seine ersten Atemzüge der kommunistisch-diktatorischen Luft zu sich nimmt. Er ist eines von sechs Kindern, welche ebenfalls alle in der DDR geboren wurden. Seine Eltern mussten den zweiten Weltkrieg in all seiner Grausamkeit miterleben und waren dadurch gezeichnet. Er selbst bezeichnet seine Eltern als „Kriegsinvaliden“. Außerdem haben beide Elternteile nach dem Krieg und dem Wiederaufbau begonnen in einer Gießerei zu arbeiten, was ihren gesundheitlichen Abbau noch weiter beschleunigte.

Da Emanuell eine Frühgeburt war und bereits im sechsten Monat zur Welt kam, begann Emanuells steiniger Weg bereits im Säuglingsalter. Die verfrühte Geburt hatte zur Folge, dass seine Augen nicht vollkommen entwickelt sind und er folglich auf dem rechten Auge lediglich 17% sehen kann und auf dem anderen nur Umrisse wahrnehmen kann. Zudem entwickelten sich seine kognitiven Fähigkeiten im Vergleich zu anderen Kindern seines Alters stark verlangsamt. Aufgrund dieser Einschränkungen besuchte er in den ersten zwei Jahren seiner schulischen Laufbahn eine Schule für Sehbehinderte. In der dritten und vierten Klasse nahm er aber an dem gewöhnlichen Schulalltag einer normalen Grundschule teil. „Ohne meinen Vater hätte ich die Grundschule nicht geschafft. Er hat mich eigentlich da so durch gemogelt, indem er mir bei allen schulischen Aufgaben geholfen hat. Und Abschreiben konnte ich ja eh nicht. Dafür hätte ich mein Gesicht ja fast auf das Arbeitsblatt meines Nachbars legen müssen“, erzählte er lachend. Aus Gründen die Manni, wie ihn seine Freunde nennen, nicht genau nennen kann, entwickelte sich sein Geist bis zum zehnten Lebensjahr nach. Deshalb stand seinem nächsten Schritt, den Sprung auf die Realschule, nichts mehr entgegen und er überzeugte dort mit Fleiß, Motivation und guten Noten. Erfolgreich schloss er die Realschule ab und ging dann auf eine technische Hochschule. Diese bot zu dieser Zeit eine technische Ausbildung an, die er dann auch machte. Danach studierte er noch für ein paar Semester Informatik. Im Jahr 1978 hat Manni angefangen bei einem Schlachthof im Prozessrechenzentrum zu arbeiten. In diesem Betrieb hat er zwölf Jahre lang gearbeitet und ein relativ „normales“ Leben geführt.

 

 

 

Manni lernte zu dieser Zeit eine Frau kennen, die dann kurz darauf seine Ehefrau wurde. Nach genau einem Jahr, fünf Monaten und einem Tag gingen beide wieder getrennte Wege, dennoch waren sie nun für immer miteinander verbunden. Denn sie brachten eine gemeinsame Tochter zur Welt. Das blieb Mannis letzte längere Beziehung und auch sein einziges Kind. „Ich hab dann irgendwie immer in den falschen Frauentopf gegriffen“, erzählte Manni.

Zu dieser Zeit war Alkohol definitiv schon ein Thema in Mannis Leben. Er selbst bezeichnet sich zu dieser Zeit als „gelegentlicher Trinker“. Damit meint er, dass er einen geregelten, natürlichen Alkoholkonsum pflegte. Dennoch war der Bierautomat der Firma stets ein treuer Begleiter während seiner Arbeitszeit am Schlachthof, auch wenn er nur in unregelmäßigen Abständen besucht wurde. Zum Wochenende gab es dann auch mal ein paar Stockram (100g Vodka pur), aber alles in einem kontrollierten Rahmen.

Der erste große Schicksalsschlag in Mannis Leben war der Tod seines Vaters. Er starb sehr früh an den psychischen als auch physischen Folgen des Krieges. Und auch der Tod seiner Mutter ist eine tragische Geschichte. Innerhalb der Familie gab es sehr intensive Streitigkeiten, die die Mutter letztendlich dazu brachten Suizid zu begehen. Zu dieser Zeit lebte Manni schon nicht mehr in Berlin bei seiner Familie, aber die Nachricht traf ihn dennoch sehr hart. Sicherlich war das einer der Gründe für seinen späteren, ausschweifenderen Alkoholkonsum, da Manni von sich selbst sagt: „Ich war schon immer der Typ, der Verlust und Kummer mit Alkohol behandelte.“

 

 

 

Manni ist schon seit seiner Jugend eine Person, die offen mit ihrer Meinung umgeht. Obwohl seine Meinung der Stasi zuwider war, pflegte er eine offene Kommunikation. Irgendwann jedoch gab er sein Gedankengut, zumindest dem Geschmack der Stasi zufolge, einmal zu oft preis. Kurzerhand wurde er von diesen abgeholt und zwei Tage gefoltert. Er wurde dort unter Wasser getunkt und mit Stockhieben gezüchtigt. Aufgrund seiner Missgunst der Diktatur gegenüber, fiel es ihm auch weiterhin schwer seine Meinung für sich zu behalten, selbst nach dieser Tortur. So kam es, dass die Stasi stets ein Auge auf ihn hatte und ihn eines Tages sogar nochmals für zwei Tage festhielt.

Gegen Ende des Jahres 1989, bekam Manni über das Radio mit, dass die Mauer gefallen sei und es schon die ersten DDR-Bürger auf westlichen Boden geschafft haben. Aus Neugierde fuhr er dann nach der Arbeit nicht nach Hause, sondern direkt nach Berlin Stadtmitte. Und tatsächlich, an manchen Stellen war die Mauer bereits offen und wurde nicht mehr bewacht. Am Abend fuhr er dann aber erstmal wieder nach Hause. Ein paar Tage darauf bekam Manni den Bescheid, dass die Stasi ihn wieder besuchen kommen würde. Als Manni später im Zug saß, stieg er nicht bei sich aus, sondern fuhr einfach weiter in Richtung Berlin Innenstadt. Es kam ihm plötzlich in den Kopf: „Ich werde noch heute ohne Hab und Gut das Land verlassen!“ Manni macht sich auf den Weg in Richtung Grenze und sah, dass die Mauer an dieser Stelle noch nicht vollständig eingerissen war. Für den Fall, dass doch irgendetwas schief gehen würde, dachte er sich: „Nüchtern kriegen die mich nicht, die Schweine!“ und setzte sich sofort in eine Bar, in Sichtweite der Mauer. Der Plan war sich so zu betrinken, dass er im Falle einer Festnahme nicht nüchtern wäre. Gesagt, getan. Manni bestellte sich einen Kranz Vodka (ca. 16 kurze Vodka) und fing an seinen Plan durchzuziehen. „Ich glaube ich habe mehr geschwankt als die Mauer am Ende.“

 

 

Die Reise ins Ungewisse

Als die Mauer dann eingerissen war und Manni mittlerweile einen Teil des Kranzes verarbeitet hatte, machte er sich auf den Weg nach Westdeutschland. Dort angekommen wurde er von einem Taxifahrer ins Auffanglager gebracht. Er wurde freundlich von einem zwei Meter großen amerikanischen Soldat empfangen. Dieser Mann drückte ihm erst einmal eine Flasche Whiskey in die Hand, um ihn willkommen zu heißen. Die folgenden Tage galten der damals durchgeführten Aufnahmeprozedur: Zuerst bekam Manni neue Papiere, damit er sich ausweisen konnte. Jeder Neuankömmling konnte sich ein Begrüßungsgeld von circa 100 DM abholen. Bei Manni blieb es aber nicht bei den 100 DM… Schnell fand er heraus wie er die Begrüßungsgeldausgabe übers Ohr hauen konnte und wurde zum Stammgast.

Jede Person durfte einen Wunsch äußern in welches Bundesland oder in welche Stadt sie gerne gebracht werden möchte. Manni dachte sich, dass es am besten wäre in eines der beiden reichsten Bundesländer zu gehen. Das waren zur damaligen Zeit Bayern und Baden-Württemberg. „Ich hab mich dann für Baden-Württemberg entschieden, weil ich befürchtete, dass Bayern eine eigene Mauer um sich gebaut hatte“, sagte er und schmunzelt dabei. Manni entschied sich dann für die Hauptstadt Stuttgart. Ganz einfach aus dem Grund, dass er sich mit seiner Sehschwäche in großen Städten mit einer guten Infrastruktur, beispielsweise durch die öffentlichen Verkehrsmittel, besser zurecht findet.

In Stuttgart angekommen, wurde Manni auch dort erst einmal in ein Auffanglager gebracht. Eine von seinen herausragenden Eigenschaften ist es, sich in jeder Situation zurecht zu finden und das Beste daraus zu machen. So etablierte er sich auch in Stuttgart schnell als Stammgast der Begrüßungsgeldausgabe. Nach und nach wurden die Menschen in den Auffanglagern auf verschiedene Notunterkünfte verteilt, zuerst Familien mit Kindern und dann Frauen. Alleinstehende Junggesellen wie Manni mussten auf ihre Unterkunft etwas länger warten. Während dieser Zeit bemühte sich Manni Anschluss in der Arbeitswelt zu finden. Direkt gegenüber von seiner Unterkunft war eine Fleischerei, bei der er nach einem Job fragte. Da er ja schon einige Jahre Erfahrung in der Fleischindustrie vorweisen konnte, bekam er einen Job. Der erste Schritt schien getan zu sein. Doch nach zwei Wochen bekam Manni eine mündliche Verwarnung von seitens seines Vorgesetzten, aufgrund seiner gelegentlichen Verspätungen. Diese Ansage verwechselte er jedoch mit einem Rauswurf und tauchte folglich nicht mehr bei der Arbeit auf. In den folgenden Wochen schlug sich Manni mit den verschiedensten Tagesjobs durch. Egal ob in der Papierpresse oder als Reinigungskraft. Eines betonte er dabei: „An mangelndem Arbeitswillen hat es nie gelegen“. Er sei stets um einen Job bemüht gewesen und wollte auch wirklich arbeiten. Sein ganzes Gemüt sei danach ausgelegt, einem täglichen Beruf nachzugehen. „Ich hatte aber so gut wie keine Chance. Durch meine Sehbehinderung ließ sich kaum ein Job finden, den ich befriedigend erledigen konnte.“

 

 

 

 

Eines Tages bekam Manni eine Stelle in einer Spedition. Auf die Frage ob er denn Lastwagen fahren könne, antwortete er reflexartig mit ja. Er hatte keinen Führerschein und hatte in der DDR vielleicht ein-, zweimal das Steuer eines LKWs in der Hand. Zu seinem großen Vorteil wurde der gemachte Sehtest mit dem eines anderem vertauscht. Zu dieser Zeit (1990) war es möglich eine innerbetriebliche Fahrerlaubnis auszuhändigen, welche der Person die Befugnis erteilte, eine ganz bestimmte Strecke abzufahren, ohne einen Führerschein zu besitzen. Um es auf den Punkt zu bringen: Manni hat tatsächlich ohne Führerschein und mit seiner Sehbehinderung für ein paar Tage einen 40-Tonner durch die Straßen Stuttgarts gelenkt. Das ganze ging sogar gut, bis die Verwechslung der Sehtests erkannt wurde und die Polizei Manni stoppte.

 

Der Weg auf die Straße

Eines Tages wurde dann auch Manni vom Auffanglager in eine Notunterkunft umgesiedelt, die allerdings absolut nicht besser war. Die Notunterkunft besaß nur Mehrbettzimmer und hatte laut Manni eine hohe Rate an psychisch kranken und kriminellen Personen. Es gefiel ihm dort überhaupt nicht und er hat nur sehr ungerne dort geschlafen.

Zu dieser Zeit spielte Manni ab und zu mit dem Gedanken wieder nach Berlin zurückzukehren, um seine Familie zu besuchen. Allerdings war das Schamgefühl viel zu groß um heimzukehren. Da er sich ohne einen Ton aus dem Staub gemacht hatte und wirklich alles hinter sich gelassen hat. Er konnte nun nicht einfach zurückkehren. Dennoch kam er um die Reise nach Berlin nicht herum. Er brauchte wichtige Dokumente, die noch in seiner Wohnung in Berlin waren. Also machte sich Manni eines Tages auf den Weg. Doch eines war ihm klar: Er werde nur die Dokumente holen und reise direkt wieder ab. So sollte es dann auch sein. Er besorgte sich alle Unterlagen aus seiner Wohnung und machte sich wieder auf den Weg zurück nach Stuttgart. Bevor er aber Berlin wieder verließ, übergab er den Schlüssel seiner Wohnung einer Familie, von der er wusste, dass sie die Wohnung wirklich brauchen konnten.

Rückblickend sagt Manni heute, dass ihm zu dieser Zeit jemand gefehlt hat, der ihn an die Hand genommen hätte, um ihm das System in Westdeutschland zu erklären. Eine Person, die ihm gesagt hätte, welche Schritte er gehen muss und welche er lassen sollte. Doch diese Person gab es nicht. Laut Manni nahm sein Leben ab diesem Zeitpunkt eine deutlich Wende. Von da an wäre es nur noch bergab gegangen.

 

 

 

 

Da er sehr ungern in der Notunterkunft geschlafen hat, blieb er öfters über Nacht einfach draußen und schlief auf Parkbänken oder unter Brücken. Oft schlief er auch auf den Baustellen, an denen er als Tagelöhner angestellt war. In dieser Zeit lernte Manni neue Freunde kennen, die aus seiner heutigen Sicht die falschen Freunde waren. Er tauchte nach und nach in die Trinker- und Obdachlosenszene ein und wurde, ohne es vorerst selbst zu bemerken, ein Teil davon. Es war viel mehr ein schleichender Prozess, vergleichbar mit Treibsand: Man geht nur sehr langsam unter, aber wenn man bemerkt in welcher Lage man sich befindet, ist es meist schon zu spät. Auch Mannis Alkoholkonsum stieg sehr schnell an. Zu diesem Zeitpunkt begann er bereits morgens zu trinken, um keine Entzugserscheinungen zu erfahren. Er erzählt: „Morgens brauchte ich bereits meinen Klapperschluck. Ohne den kam ich nicht mehr zurecht. Und der Klapperschluck konnte auch mal gerne eine halbe Flasche Vodka sein.“ Zu allem Übel hatte Manni auch angefangen an Automaten zu spielen, an denen er selbst sein allerletztes Geld verspielte. Sein Tagesbedarf an Alkohol belief sich zu dieser Zeit auf circa. einem Kasten Bier und den einen oder anderen Schluck Hochprozentigen pro Tag. Auch das Spielen entwickelte sich schnell zu einer Sucht, die er nicht mehr steuern konnte. Manni war angekommen. Unten angekommen. Er lebte auf der Straße, war alkohol- und spielsüchtig. Manni beschrieb dieses Jahr: „Das Jahr 1990, das erste Jahr auf der Straße war ein Lehrjahr für mich. Ich lernte alles was man wissen musste, um auf der Straße zu überleben.“

Die seltenen Tagesjobs reichten nicht mehr aus um den übermäßigen Konsum zu finanzieren, also wurde Manni wieder erfinderisch. Kurzerhand transformierte er eines der Bahnhofsschließfächer zu einem Kiosk um. Tagsüber kaufte er raue Mengen an Bier und bunkerte sie dort ein. Abends, wenn alle Durst bekamen und die Läden bereits geschlossen waren, verkaufte er aus dem Schließfach heraus das Bier – zu einem Tarif mit Sonderzuschlag, versteht sich. Jedoch wurde dieses Geschäft früher oder später von der Bahnpolizei unterbunden.

 

 

 

In der Zwischenzeit bekam Manni die Adresse seiner Tochter heraus, indem er den geschwärzten Teil eines Jugendamtbriefes unter ein Schwarzlicht hielt. Vielleicht war es die Suche nach einem Halt, der Wunsch nach Versöhnung oder einfach die Sehnsucht nach der eigenen Familie, als Manni beschloss, seine Tochter zu kontaktieren. Er nahm all seinen Mut zusammen und schrieb ihr einen Brief, in dem er sich für alles entschuldigte. Er teilte ihr mit, wie sehr er sich über einen regelmäßigen Kontakt freuen würde. Und tatsächlich willigte seine Tochter ein und sie beschlossen sich regelmäßig beieinander zu melden.

Eines Tages kam Manni auf die Idee sich ein eigenes kleines Lager zu errichten. Er wollte, obwohl er auf der Straße lebte, so etwas wie ein Zuhause haben. Die Geschichte zu Mannis kleinem Reich erzählt er euch selbst:

 

 

 

So schlug sich Manni bis ins Jahr 1995 durch. In der Mitte dieses Jahres verlor er seine Kontaktlinsen und seine Brille. Hört sich zunächst nach einem alltäglichen Problem an, das leicht gelöst werden  kann – aber nicht wenn man kein Geld für eine neue Brille hat. Und wenn man ohne Brille Personen erst ab einem Abstand von unter einem Meter erkennt. Manni war komplett aufgeschmissen. Aber so langsam reifte der Gedanke in ihm, etwas grundlegend zu ändern.

 

 

Schritt für Schritt

Im September 1995 beschloss Manni den ersten Schritt in Richtung eines normalen Lebens zu machen. Er besuchte das Trottwar Office, von dem er von anderen Obdachlosen gehört hatte, um sich als Trottwar-Verkäufer zu bewerben. Obdachlose und bedürftige Menschen haben bei Trottwar die Möglichkeit für einen geringen Betrag die Trottwar Zeitschriften zu erwerben, um sie dann auf der Straße weiterzuverkaufen. Der Inhalt wird zum einen von einer Redaktion erstellt und zum anderen haben die Verkäufer selbst die Möglichkeit, Artikel für die Ausgaben zu schreiben. Trottwar ist aber weit mehr als nur eine Zeitschrift. Es ist gleichzeitig eine soziale Einrichtung, die den Bedürftigen bei den verschiedensten Angelegenheiten unter die Arme greift. Zum Beispiel setzen sie sich sehr aktiv dafür ein, Obdachlosen eine Wohnung oder ein Zimmer zu beschaffen, um sie von der Straße zu holen.

 

 

 

Manni fand schnell Anschluss zu den Trottwar Mitarbeitern und auch das Zeitschriften Verkaufen gab ihm ein gutes Gefühl. Es war das Gefühl sich auf eine ehrliche Art und Weiße finanzielle Mittel zu beschaffen. Die für ihn zuständige Sozialarbeiterin setzte sich von Anfang an für ihn ein und machte sich auf die Suche nach einer passenden Unterkunft. Drei Monate nachdem Manni bei Trottwar angefangen hatte zu arbeiten war es soweit. Er bekam ein eigenes Zimmer. Es war nur etwa 11m² groß, aber er hatte endlich wieder ein Dach über dem Kopf. „Das war eines der schönsten Geschenke, die mir je gemacht wurden. Ich war so glücklich“, erzählte Manni.

 

 

 

Kurz darauf hatte Manni einen Rückschlag zu verkraften. Es wurde grauer Star bei ihn festgestellt und es bestand die Gefahr, dass er sein letztes bisschen Augenlicht verlieren würde. Doch Manni hatte großes Glück. Durch eine sehr zeitnahe Operation konnte dies noch verhindert werden.

Trotz dieses kleinen Zwischenfalls entwickelte sich Mannis Leben endlich in die richtige Richtung. Zuerst hatte er eine geregelte Arbeitsstelle bekommen, dann ein eigenes Zimmer und in absehbarer Zukunft konnte er sogar mit einer eigenen Sozialwohnung rechnen. Das regelmäßige Einkommen und das Dach über dem Kopf veränderte seine Lebensqualität grundlegend und gab ihm ein ganz neues Lebensgefühl. Eines warf ihn dennoch immer wieder zurück und holte ihn auf den Boden der Tatsachen: Seine Alkohol- und Spielsucht. Er trank immer noch mehr als zwanzig Bier am Tag und bekam ohne Alkohol sofort heftige Entzugserscheinungen. Leider war Manni selbst auch viel zu oft nur eine kurzzeitige Zwischenstation für das bei Trottwar verdiente Geld. Es landete meist direkt wieder in den Spielautomaten oder auf der Theke von Getränkemärkten.

 

 

 

Leider brach zu dieser Zeit auch der Kontakt zu seiner Tochter ab, worauf er sich dazu entschloss, sie spontan in Berlin zu besuchen. Er sparte sich das nötige Geld zusammen und machte sich voller Zuversicht auf den Weg. In Berlin angekommen überkam ihn aber wieder das Schamgefühl und Manni drohte in Panik zu geraten. Seine Knie fingen an zu zittern und sein Puls raste. Er schaffte es nicht mehr weiter. Auf dem Weg zur ihrer Wohnung musste Manni abbrechen und umkehren. Auf dem Weg zurück nach Stuttgart versank er förmlich in seiner eigenen Scham. Allerdings bewirkte dieses Gefühl der völligen Machtlosigkeit über seinen Körper und seine Gefühlen etwas bei ihm. Der in ihm gereifte Gedanke und starker Wunsch zur Änderung wurde greifbar und Manni beschloss einen Entzug zu machen. Im Jahr 2002 begab er sich für sechzehn Wochen stationär in eine Entzugsklinik, um seine Alkohol- und Spielsucht behandeln zu lassen. Manni  war sich von Anfang an bewusst, dass er nicht als trockener Alkoholiker die Klinik verlassen würde. Sein Ziel war, seinen Konsum stark zu reduzieren. Und das schaffte er! Nach dem Entzug hielt er sich erfolgreich (bis auf kleine Zwischenfälle) von hartem Alkohol fern. Seine tägliche Bierdosis ist auf etwa zehn bis fünfzehn Flaschen gesunken. Für einen „Normalsterblichen“ scheint das immer noch eine unrealistische Menge an Alkohol zu sein, für einen starken Alkoholiker jedoch, ist es ein Fortschritt. Das Spielen konnte er seit dem Entzug sogar ganz lassen. Außerdem waren das nicht die einzigen Änderungen, die Manni während seinem Entzug durchlebt hatte: „Ich habe mit mir Frieden geschlossen. Ich kann mich nicht ewig darüber aufregen, was ich alles falsch gemacht habe in meinem Leben. Ich will nun versuchen, mit dem was ich habe zufrieden zu sein und ein möglichst glückliches Leben zu führen.“

 

Ein weiterer Rückschlag

Mannis Leben hatte sich innerhalb von ein paar Jahren drastisch geändert. Er hatte nun eine eigene Wohnung, ein festes Arbeitsverhältnis, ein sauberes Führungszeugnis und sein Alkoholkonsum hatte sich auf einem Niveau eingependelt, dass er unter Kontrolle hatte. Manni übernahm bei Trottwar sogar die Führung der Gruppen für die alternative Stadtführung. Die alternative Stadtführung ist eine Stadtführung durch Stuttgart auf eine etwas andere Art. Hier werden keine berühmten Bauwerke oder andere Sehenswürdigkeiten angesteuert, sondern die Stadt wird den Teilnehmer*innen aus der Sicht eines Obdachlosen beleuchtet. Man erfährt, wie das Leben auf der Straße funktioniert und welche Örtlichkeiten in Stuttgart dabei eine Rolle spielen.

Doch eines Tages bemerkte Manni, dass etwas nicht stimmte:

 

 

 

Mittlerweile kann Manni wieder ganz normal laufen und hat alles gut überstanden. Er wird noch in diesem Jahr wieder mit Stadtführungen beginnen. Gesundheitlich geht es ihm wieder gut und er sagt von sich, dass er ein zufriedener Mensch ist. Er ist sich auch sicher, dass er nie wieder auf der Straße landen wird. Er hat seine Lektion gelernt und will es nie wieder soweit kommen lassen.

 

Für mich ist Manni eine sehr inspirierende Person. Er ist das beste Beispiel dafür, dass man sich selbst nie aufgeben sollte. Solange man an sich selbst glaubt, gibt es auch einen Weg. Er steht auch symbolisch dafür, ohne es persönlich jemals anzusprechen, dass man zufrieden sein sollte mit dem was man hat. Man braucht nicht viel um glücklich sein zu können.

Diese Worte scheinen kitschig oder klassisch klingen, aber Manni ist einer der Menschen, der ihnen eine tiefe Bedeutung verleiht.

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